Vorträge
Alle Vorträge werden hybrid angeboten, d.h. Sie können vor Ort, aber auch online daran teilnehmen.
Vorträge am Freitag, 3. Mai 2024
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09:35 UhrClaas-Hinrich Lammers
Der vulnerable NarzissmusAbstract
Spricht man vom Narzissmus, dann ist in der Regel der bekannte grandiose Typ des Narzissmus gemeint. Doch in der therapeutischen Praxis stellen sich weitaus häufiger Patient:innen mit einer narzisstischen Störung vom vulnerablen Typ vor, welche prima vista eher zurückhaltend, sozial gehemmt oder sogar depressiv auftreten. Da dieser Typ des Narzissmus eher unbekannt ist und die narzisstischen Persönlichkeitseigenschaften erst bei einem näheren Kennenlernen zum Vorschein kommen, werden die Patient:innen häufig fehldiagnostiziert und erfahren demzufolge keine adäquate Behandlung. Um das zu verhindern, sollten Therapeut:innen mit dem Störungsbild des vulnerablen Narzissmus vertraut sein.
Zielgruppe
Psychiater:innen, Psychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen, Pflegekräfte
Ziel
Dieser Vortrag soll für das Störungsbild des vulnerablen Narzissmus sensibilisieren, dessen Grundlagen erläutern und einen Behandlungsansatz vorstellen.
Literatur
Lammers CH (2023). Narzisstische StörungDozent
Claas-Hinrich Lammers
Studium der Medizin in Homburg/Saar, Hamburg. Assistenzarzt am MPI-München, Universität Marburg und Universität Lübeck. Forschungsaufenthalte am l´INSERM, Paris und NINDS, Washington, Bethesda. Oberarzt an der Universität Lübeck und der Charité Berlin. Weiterbildung in Verhaltenstherapie, Supervision, EMDR, Traumatherapie, DBT, Hypnotherapie und Emotionsfokussierter Therapie.
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10:35 UhrChristian Schmahl
Dimensionale Persönlichkeitsstörungen in ICD-11 – Mechanismen und TherapieAbstract
Die Forschung zu Persönlichkeitsstörungen (PS) basierte jahrzehntelang auf kategorialen Diagnosen und die Forschung zu zugrundeliegenden psychosozialen und neurobiologischen Mechanismen beschränkte sich weitegehend auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung. In jüngster Zeit wurde mit dem Alternativen Modell für PS im DSM-5 und dem ICD-11 ein grundlegender Wandel hin zu einem dimensionalen Modell der Persönlichkeitsstörung vollzogen. Der neue Schwerpunkt liegt auf Beeinträchtigungen der Selbstwahrnehmung und der interpersonellen Funktionen. Dieser dimensionale Ansatz bietet den Forschenden neue Ansätze für die Untersuchung der Mechanismen von PS und daraus abgeleiteten Behandlungsoptionen. In diesem Vortrag soll dieser neue Forschungsansatz theoretisch dargestellt und mittels praktischer Beispiel verdeutlicht werden. Dabei geht es darum, die psychosozialen und neurobiologischen Mechanismen aufzuklären, die den bei PS zu findenden funktionellen Beeinträchtigungen und den Wechselwirkungen mit situativen Herausforderungen und sozialen Begegnungen zugrunde liegen. Als mögliche Untersuchungsmethoden bieten sich hier neben Verhaltens- und Bildgebungsexperimenten insbesondere die Erfassung von Befindens- und Verhaltensdaten im Alltag mittels ambulantem Assessment an, wobei hier auch gezielte Alltags-Interventionen überprüft werden können.
Dozent
Christian Schmahl
Christian Schmahl (geb. am 09.06.1968) ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim und Professor für Experimentelle Psychopathologie. Außerdem ist er Sprecher des Graduiertenkollegs 2350 „Einfluss aversiver Kindheitserfahrungen auf psychosoziale und somatische Probleme über die Lebensspanne“. Seine Forschung fokussiert auf die Aufklärung von Mechanismen der Emotionsregulation, des selbstverletzenden Verhaltens und der Dissoziation sowie die Interaktion von Neurobiologie und Psychotherapie bei Stress-assoziierten Erkrankungen. Er studierte Medizin in Mainz und Gießen und absolvierte die Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Freiburg und die Ausbildung zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Seine wissenschaftlichen Publikationen umfassen mehr als 200 Zeitschriftenartikel und Buchkapitel sowie zwei Bücher.
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11:35 UhrSibylle Maria Winter
Gewalt – Biopsychosoziale Folgen, Intervention und PräventionAbstract
Der Vortrag beinhaltet zunächst epidemiologische Daten zu Häufigkeit von körperlicher, sexualisierter und emotionaler Gewalt sowie emotionaler und körperlicher Vernachlässigung. Im Weiteren werden die unmittelbaren biopsychosozialen Folgen sowie die Folgen über die Lebensspanne anhand empirischer Studien, unter anderem die Berliner Kinderstudie (B-LCS) dargestellt. Diese Studien zeigen, dass insbesondere bei Kumulation von sogenannten Adverse Child Experiences (ACE) weitreichende körperliche und psychische Folgeerkrankungen über die gesamte Lebensspanne auftreten können. Abschießend werden Interventionsmöglichkeiten und Präventionskonzepte dargestellt. Die Frage nach Gewalt und Vernachlässigung sollte in jeder Anamnese gestellt werden, zudem können Screening- und Diagnostikinstrumente zum Thema Gewalt und Vernachlässigung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene eingesetzt werden. Nur eine frühzeitige Identifizierung von Gewaltbetroffenen ermöglicht eine fachgerechte Intervention. Im Rahmen der Prävention sollte Psychoedukation in Bildungseinrichtungen regelhaft implementiert werden.
Dozentin
Sibylle Maria Winter
Prof. Dr. med. Sibylle Maria Winter: Ärztin, Fachärztin für kinder- und Jugendpsychiatrie- und Psychotherapie, Universitätsprofessorin für Traumafolgen und Kinderschutz, seit 1995 in der Charite – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Stellvertretende Klinikdirektorin, Leiterin der Kinderschutz- und Traumaambulanz sowie des Childhood-Haus Berlin. Zusatzqualifikation: Psychotraumatologie für Kinder und Jugendliche. Forschungsschwerpunkt: Biologische Einbettung der Kindesmisshandlung und transgenerationale Weitergabe.
Vorträge am Samstag, 4. Mai 2024
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09:00 UhrHannes-Vincent Krause
Social Media – Fluch oder Segen für die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden?Abstract
Soziale Medien sind fester Bestandteil moderner sozialer Kommunikation und Interaktion geworden. Seit der Entstehung der Plattformen häufen sich Bedenken hinsichtlich ihrer Risiken für die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden der Nutzer:nnen. Diese Bedenken haben sich mittlerweile zu einem weit verbreiteten Narrativ entwickelt. Soziale Medien sollen so ein erhebliches Risiko — vor allem für jüngere Generationen — darstellen, abhängige Nutzungsmuster fördern, die Lebenszufriedenheit einschränken, soziale Ängste schüren und Nutzer:innen trotz ihrer sozialen Natur voneinander entrücken, statt sie miteinander zu verbinden. Doch wie gut hält dieses Narrativ dem wissenschaftlichen Prüfstand?
Der Vortrag liefert einen Überblick über bisherige empirische Befunde. Im Kontrast zum weit verbreiteten Narrativ, zeichnet die wissenschaftliche Evidenz eher ein inkonsistentes Bild und liefert sowohl Evidenz für mögliche Chancen und Benefits, als auch Risiken durch die Social Media Nutzung. Im Vortrag werden mögliche Erklärungen für diese Inkonsistenten gegeben, Ansatzpunkt für zukünftige Forschung, und Empfehlungen für den Umgang mit dem Themenkomplex der Social Media Nutzung im Rahmen der Psychotherapie gegeben.
Dozent
Hannes-Vincent Krause
Dr. Hannes-Vincent Krause ist Psychologe und Wirtschaftsinformatiker und arbeitet als Postdoc am Weizenbaum Institut. Seine Forschung widmet sich dem Verständnis der Auswirkungen der Social Media Nutzung - vorrangig im Hinblick auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der NutzerInnen. Hierbei legt er einen Fokus auf die Rolle spezifischer Social Media Nutzungsmuster, sozialer Vergleiche und des Neid-Empfindens. Methodische Schwerpunkte liegen hierbei auf experimentellen Forschungsdesigns, systematischen Literaturarbeiten und querschnittlichen Fragebogenerhebungen. Seine Arbeiten wurden in führenden Fachzeitschriften der Medienpsychologie, der Kommunikationswissenschaften und der Wirtschaftsinformatik veröffentlicht.
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09:50 UhrBabette Renneberg
Motivorientierte Verhaltenstherapie bei PersönlichkeitsstörungenAbstract
Die psychotherapeutische Behandlung von Patienten und Patientinnen mit Persönlichkeitsstörungen ist häufig herausfordernd. Innerhalb der verhaltenstherapeutischen Ansätze liegt nur für die Borderline Persönlichkeitsstörung mit der Dialektische behavioralen Therapie (DBT) ein evidenzbasiertes therapeutisches Behandlungsprogramm vor.
Es kommen jedoch auch häufig Patienten und Patientinnen mit anderen Persönlichkeitsstörungen in die Praxis. Für gelingende Psychotherapie ist es notwendig, die zu Grunde liegenden Motive der interpersonellen Verhaltens- und Erlebensmuster gemeinsam herauszuarbeiten. Es gilt, die spezifischen Interaktionsmuster zu erkennen und zu besprechen und, wann immer möglich, ressourcenaktivierend zu arbeiten und so mit einer wertschätzenden und positiven Erwartungshaltung an die Fälle heranzutreten. Im Vortrag wird das konkrete therapeutische Vorgehen anhand von Fallbeispielen und therapeutischen Dialogen erläutert.
Literatur: Renneberg, B. & Herpertz, S. (2021). Persönlichkeitsstörungen. Göttingen. HogrefeDozentin
Babette Renneberg
Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Freien Universität Berlin, Leiterin der Hochschulambulanz für Psychotherapie der Freien Universität und des ZGFU, einem Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichen-psychotherapie. Babette Renneberg ist approbierte Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Verhaltenstherapie.
Forschungsschwerpunkte: Grundlagen- und Therapieforschung zu Persönlichkeitsstörungen und sozialen Angststörungen. In der klinisch-psychologischen Interventionsforschung hat sie neue Behandlungsprogramme für besonders beeinträchtigte Gruppen entwickelt. Dazu gehören Menschen mit extremen sozialen Ängsten, schwer brandverletzte Patienten mit Narben und Entstellungen, sowie Mütter mit kleinen Kindern, die durch ihre Borderlinestörung bei der Erziehung vor besondere Probleme gestellt sind.
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11:00 UhrChristian Stierle
Mitgefühlsbasierte Medizin bei chronischen ErkrankungenAbstract
Chronische Erkrankungen gehen häufig mit massiven psychosozialen Belastungen und Einschränkungen in der Lebensqualität einher. Betroffene leiden zusätzlich häufig unter Schwierigkeiten in der Akzeptanz chronischer Erkrankungen sowie unter Scham und hoher Selbstkritik. In den letzten Jahren gibt es zunehmend mehr Evidenz, dass die Förderung von Mitgefühl und insbesondere Selbstmitgefühl ein hilfreicher Ansatzpunkt für PatientInnen sein kann und mit verminderter psychopathologischer Belastung, verbessertem Gesundheitsverhalten sowie weiteren Gesundheitsfaktoren einhergeht. Zusätzlich mehren sich Ansätze, dass die Integration von mitgefühlsbasierten Interventionen auch die Gesundheit von Mitarbeiternden im Gesundheitswesen positiv beeinflusst. Vor diesem Hintergrund erhält Compassionate Leadership und Compassionate Medicine eine zunehmende Bedeutung. In diesem Vortrag soll auf diese Aspekte eingegangen werden und erste Ideen für die Integration mitgefühlsbasierter Ansätze in die klinisch-therapeutische Versorgung chronisch kranker Patient:innen aufgezeigt werden.
Dozent
Christian Stierle
Christian Stierle ist Psychologischer Psychotherapeut und Supervisor für Verhaltenstherapie. Er ist aktuell Professor für Klinische Psychologie an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Parallel arbeitet er als Psychotherapeut, Supervisor und Trainer. Zuvor war er viele Jahre an der Schön Klinik Bad Bramstedt, wo er als Leitender Psychologe für den Bereich Zwangsstörungen und verwandte Störungen sowie für den Traumafolgestörungen-Bereich arbeitete. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Psychosomatische Dermatologie und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Gesellschaft Zwangsstörungen und forscht zur Förderung von Mitgefühl sowie zur Regulation von Ekel und Scham bei Zwangsstörungen sowie dermatologischen Erkrankungen. Christian Stierle hat ursprünglich in Marburg Psychologie studiert und in Braunschweig und Göttingen seine psychotherapeutische Ausbildung absolviert.
Er wurde bei Paul Gilbert und Chris Irons in Compassion Focused Therapy trainiert und gibt regelmäßig Workshops zur Compassion Focused Therapy.
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11:50 UhrWinfried Rief
Kompetenzbasierte Psychotherapie – ein verfahrensübergreifender AnsatzAbstract
In Deutschland sind sowohl die legalen Regelungen als auch das Denken vieler Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten stark an den traditionellen Therapieverfahren orientiert. Damit einher gehen eigene Sprachen der Therapieschulen, hohe Identifikation (einschließlich Tunnelblick-Phänomenen) mit einem Verfahren und Abgrenzung von anderen Verfahren. Dies resultiert in zahlreichen Problemen und Denkfehlern, und steht einer wissenschaftlich-orientierten Weiterentwicklung von Psychotherapie im Wege. Es wird missachtet, dass viele Therapieprozesse, Problem-und Interventionsdefinitionen zwischen unterschiedlichen Therapieschulen über weite Strecken ähnlich sein können, und auf der anderen Seite manche anerkannte Therapieverfahren auch nicht die besten Lösungen für alle identifizierbare Problembereiche bieten, so dass deren generalisierter Einsatz nicht indiziert ist.
Im Beitrag wird vorgestellt, welche Auswirkungen das Schulendenken auf eine wissenschaftliche Weiterentwicklung und das Ideal einer evidenzbasierten Versorgung hat. Dieses Problem wird durch die zahlreichen Neuentwicklungen potenziert, die zwischenzeitlich zum Teil besser wissenschaftlich fundiert sind als traditionelle Verfahren, so dass sie nicht zuletzt auf Grund ihrer wissenschaftlichen Fundierung berücksichtigt und ggf. integriert werden müssen.
Um aus diesem Dilemma auszusteigen, werden kompetenzbasierte Therapieansätze vorgestellt, die Interventionen nicht nach Schulen oder Ideologien sortieren, sondern nach den wesentlichen Wirkmechanismen und Interventionsfoci. Beispiele solcher Wirkmechanismen und wie diese verfahrensübergreifend realisiert werden können werden vorgestellt. Damit redefiniert sich das Aus-und Weiterbildunsgziel in der Psychotherapie in dem Sinne, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die Kompetenzen erwerben sollen, verschiedene wissenschaftlich fundierte Wirkmechanismen systematisch einzusetzen (z.B. im Rahmen einer prozessbasierten Psychotherapie), dabei wissenschaftlich fundierte Leitlinien und Indikationsregeln zu beachten. Dies ebnet auch den Weg, dass sich Psychotherapie von einer Ansammlung einzelner Schulen zu einer echten Wissenschaft weiterentwickelt und Neuentwicklung gut integrieren kann. Implikationen für die Praxis werden herausgearbeitet.Dozent
Winfried Rief
Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie, Philipps Universität Marburg. Leiter der Psychotherapie-Ambulanz Marburg und des postgradualen Ausbildungsgangs für Psychotherapie. Approbierter psychologischer Psychotherapeut und Supervisor. Professor Rief arbeitete viele Jahre in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken, bevor er im Jahr 2000 das Angebot einer Professur an der Philipps Universität annahm. Er spezialisierte sich auf somatoforme Beschwerden, Klassifikation chronischer Schmerzsyndrome, und in neuerer Zeit zunehmend auf die Themen Placebo-und Nocebo-Mechanismen. Die Initiative einer Arbeitsgruppe unter seiner Leitung führte 2009 zur Einführung der neuen Diagnose „chronische Schmerzen mit psychischen und somatischen Faktoren“ (ICD-10 GM F45.41). Als Co-Chair zusammen mit Professor Treede und einer entsprechenden internationalen Arbeitsgruppe entwickelte er ein neues Klassifikationssystem für chronische Schmerzen, das 2019 in den finalen Entwurf von ICD-11 aufgenommen wurde. Als Sprecher einer DFG- Forschergruppe arbeitete er an Placebo-und Nocebo- Mechanismen bei verschiedenen körperlichen Krankheiten (Herzchirurgie, Schmerzsyndrome, Depressionen). Von 2011 bis 2020 war Professor Rief DFG-Fachkollegiat, auch in der entsprechenden DFG-Gruppe für klinische Studien. Er war Gastprofessor an den Universitäten Harvard Medical School, Boston (2004/2005), University of Auckland Medical School (2002), und University of California San Diego (2009/2010). Er erhielt verschiedene wissenschaftliche Preise, unter anderem den Distinguished Researchers Award in Behavioral Medicine in 2014 und den Preis der Europäischen Psychosomatischen Medizin EAPM 2020.