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Kompetenzbasierte Psychotherapie – ein verfahrensübergreifender Ansatz


In Deutschland sind sowohl die legalen Regelungen als auch das Denken vieler Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten stark an den traditionellen Therapieverfahren orientiert. Damit einher gehen eigene Sprachen der Therapieschulen, hohe Identifikation (einschließlich Tunnelblick-Phänomenen) mit einem Verfahren und Abgrenzung von anderen Verfahren. Dies resultiert in zahlreichen Problemen und Denkfehlern, und steht einer wissenschaftlich-orientierten Weiterentwicklung von Psychotherapie im Wege. Es wird missachtet, dass viele Therapieprozesse, Problem-und Interventionsdefinitionen zwischen unterschiedlichen Therapieschulen über weite Strecken ähnlich sein können, und auf der anderen Seite manche anerkannte Therapieverfahren auch nicht die besten Lösungen für alle identifizierbare Problembereiche bieten, so dass deren generalisierter Einsatz nicht indiziert ist.
Im Beitrag wird vorgestellt, welche Auswirkungen das Schulendenken auf eine wissenschaftliche Weiterentwicklung und das Ideal einer evidenzbasierten Versorgung hat. Dieses Problem wird durch die zahlreichen Neuentwicklungen potenziert, die zwischenzeitlich zum Teil besser wissenschaftlich fundiert sind als traditionelle Verfahren, so dass sie nicht zuletzt auf Grund ihrer wissenschaftlichen Fundierung berücksichtigt und ggf. integriert werden müssen.
Um aus diesem Dilemma auszusteigen, werden kompetenzbasierte Therapieansätze vorgestellt, die Interventionen nicht nach Schulen oder Ideologien sortieren, sondern nach den wesentlichen Wirkmechanismen und Interventionsfoci. Beispiele solcher Wirkmechanismen und wie diese verfahrensübergreifend realisiert werden können werden vorgestellt. Damit redefiniert sich das Aus-und Weiterbildunsgziel in der Psychotherapie in dem Sinne, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die Kompetenzen erwerben sollen, verschiedene wissenschaftlich fundierte Wirkmechanismen systematisch einzusetzen (z.B. im Rahmen einer prozessbasierten Psychotherapie), dabei wissenschaftlich fundierte Leitlinien und Indikationsregeln zu beachten. Dies ebnet auch den Weg, dass sich Psychotherapie von einer Ansammlung einzelner Schulen zu einer echten Wissenschaft weiterentwickelt und Neuentwicklung gut integrieren kann. Implikationen für die Praxis werden herausgearbeitet.


Veranstaltungstag

Samstag, 04. Mai 2024

Dozent

Winfried Rief

Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie, Philipps Universität Marburg. Leiter der Psychotherapie-Ambulanz Marburg und des postgradualen Ausbildungsgangs für Psychotherapie. Approbierter psychologischer Psychotherapeut und Supervisor. Professor Rief arbeitete viele Jahre in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken, bevor er im Jahr 2000 das Angebot einer Professur an der Philipps Universität annahm. Er spezialisierte sich auf somatoforme Beschwerden, Klassifikation chronischer Schmerzsyndrome, und in neuerer Zeit zunehmend auf die Themen Placebo-und Nocebo-Mechanismen. Die Initiative einer Arbeitsgruppe unter seiner Leitung führte 2009 zur Einführung der neuen Diagnose „chronische Schmerzen mit psychischen und somatischen Faktoren“ (ICD-10 GM F45.41). Als Co-Chair zusammen mit Professor Treede und einer entsprechenden internationalen Arbeitsgruppe entwickelte er ein neues Klassifikationssystem für chronische Schmerzen, das 2019 in den finalen Entwurf von ICD-11 aufgenommen wurde. Als Sprecher einer DFG- Forschergruppe arbeitete er an Placebo-und Nocebo- Mechanismen bei verschiedenen körperlichen Krankheiten (Herzchirurgie, Schmerzsyndrome, Depressionen). Von 2011 bis 2020 war Professor Rief DFG-Fachkollegiat, auch in der entsprechenden DFG-Gruppe für klinische Studien. Er war Gastprofessor an den Universitäten Harvard Medical School, Boston (2004/2005), University of Auckland Medical School (2002), und University of California San Diego (2009/2010). Er erhielt verschiedene wissenschaftliche Preise, unter anderem den Distinguished Researchers Award in Behavioral Medicine in 2014 und den Preis der Europäischen Psychosomatischen Medizin EAPM 2020.




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